Geschichtenhaus
Katja Virkus

                 
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Kein Haus ist ein Geschichtenhaus, aber jedes kann eins werden.

Auszüge aus meinen erinnerungskulturellen Vorhaben "Geschichtenhäuser"

denn ...  „Ein erheblicher Teil aller menschlichen Begegnung besteht darin, dass einer dem anderen 'seine Geschichte' erzählt." (Ferdinand Seibt) 





Sophienstraße in Berlin-Mitte (Auszug)

 „Aus dem übergroßen, völlig unübersichtlichen Berryschen Nachlass an Fotografien habe ich einige ausgewählt und reproduziert und durch anderes Bildmaterial ergänzt, in der Hoffnung, fehlende textliche oder mündliche Überlieferung durch etwas Anschaulichkeit ersetzen zu können. Vielleicht ist doch insgesamt so etwas wie ein löchriger, verschneiter, wackliger Stummfilm der Familienchronik entstanden, der möglicherweise auch meine Nachkommen ein wenig interessiert" (Michael Berry, 2007 an mich)


Türen öffnen sich und geben Geschichten frei. Hier öffnet Herr Michael Berry die Tür des Hauses Sophienstraße 19 in der Spandauer Vorstadt, Berlin-Mitte.
 
Es ist ist die Geschichte von Samuel Berry. Sie handelt von jüdischer Einwanderung nach Berlin, vom Wechsel zum Protestantitismus,
sie führt in die Berliner Theaterszene, handelt von Aufstieg und Abstieg, von Diskriminierung und Verfolgung und von verschollenem und
vernichtetem Archivgut in Deutschland und Polen.

 
In den Jahren nach 1870/71 kommt der zwanzigjährige Samuel Berry nach Berlin. Der junge jüdische Mann war bereits mit 15 Jahre
ohne Eltern und hatte schon als Kriegsfreiwilliger an den Deutschen Einigungskriegen namentlich in Frankreich teilgenommen.

 
In den Adressbüchern taucht er erstmals  als Diätor am Stadtgericht 1877 auf,  im selben Jahr wird sein erster  Sohn geboren.
„Dass Max als dritten Vornamen Siegfried bekommt", schreibt mir im Jahr 2007 der Urenkel Michael 
Berry, „geschieht vielleicht im Vorgriff,
denn … erst am 16.6.1878 wird sein Vater Samuel als Proselyt in der St.-Gertraudt-Kirche auf den Namen Siegfried getauft." 

 
Aus dem schlesischen Juden Samuel Berry wird der preußische Beamte Siegfried Berry beim Berliner Magistrat.
 
1890 zieht ein Siegfried Berry in die Sophienstraße 19, 1893 beendet er seine Beamtenkarriere.
 
Jahrelang zuvor hatte er in der Oper Unter den Linden, in der seine Frau Chorsängerin war, aber auch im berühmten Wallner- und im
Residenztheater, die Comparserie organisiert.  Die Königliche Oper wirbt ihn aktenkundig, die Welt der Oper hat ihn nun ganz,
was mit zahlreichen Bildern dokumentiert ist.

 
Ab 1895 fehlt Berry in den Berliner Adressbüchern der Sophienstraße. Ob es wohl damit zusammenhängt, dass ein Jahr vorher der Ostbund d
es Vereins Christlicher Junger Männer - heute immer noch bzw. nach der Wende wieder Sitz des CVJM - das Haus Sophienstraße 19 kauft und
ielleicht entmietet?

Die Adressbücher von Berlin geben weiter Auskunft, seit 1897 taucht Siegfrieds  Name am Stuttgarter Platz in Charlottenburg auf, von einem sozialen
Aufstieg ist auszugehen.

Siegfried Berry bleibt bis zu seinem Tod 1917 der Oper treu, seine zweite Frau kämpft um eine Beamtenrente. Ihr hilft in den schwierigen Jahren

die Loge der Odd Fellows, der Siegfried in den 1870er Jahren noch als Samuel beigetreten war.  Doch soziale Not in den harten Zeiten der
Weimarer Republik lässt sich nicht aufhalten.

 
Dem Enkel von Samuel/Siegfried Berry wird im Dritten Reich die Aufnahme in die Reichsmusikkammer verwehrt, die Berliner Akten lassen
keine Andeutung auf Samuel zu.  Doch die schlesischen Geburtsakten sind damals noch erhalten und machen ihn zum „Mischling"
innerhalb der perfiden Rassenbürokratie. Eine Lebensgeschichte ist hier zu finden. 



Biographischer Audioguide "Aus meinem Leben", Adolf Damaschke
Der kleine Guide verarbeitet Kindheitserinnerungen von Adolf Damaschke (1865 - 1935) rund um den Hackeschen Markt.
Adolf Damaschke hat einige Kindheitsjahre in der Rosenthaler Straße 39, heute Haus Schwarzenberg u.a. gelebt.



Friedhof Reichenberg -
Tippfehler oder politische Botschaft                  


Auf dem Friedhof in Reichenberg (Märkische Schweiz) habe ich diesen Grabstein gefunden. 
Das Todesdatum, eines Großbauern, dessen Nachkommen im Zusammenhang mit der LPG-Gründung die DDR verlassen haben, 
ist der 31. 4. 1950. Da der 31.4. als Datum in unserem Kalender nicht vorgesehen ist und dem 1. Mai entspricht, 
habe ich meine Phantasie schwelgen und mich gern zur Annahme hinreißen lassen, dass es sich hier nicht um einen „Tippfehler“ handelt, 
sondern um eine klare politische Botschaft. Die Familie Munzinger selbst konnte  im Familiengedächtnis  keine Information  dazu auftun.


Der Groschenroman





1999 wurde die Wasseranlage in meiner Wohnung saniert. 
Ein umtriebiger Handwerker überzeugte mich mit den Worten „Dit könn Se mir globen, 
mit ’nem 80 Lita-Boila wern sich Ihre Kosten quasi halbiern. Dit versprech ich Ihnen.“ 
Benannter Effekt ist nicht eingetreten, allerdings fand sich im Verschlag über meinem Bad dieser Groschenroman
 „Ulrich Hans Wagner der furchtbare Räuberhauptmann genannt der Domschütz, Seine Raubzüge und Abenteuer, 
wahrheitsgetreu geschildert von Guido v. Fels.“ Es handelt sich dabei um ein Folgeheft, diese Ausgabe beginnt mit der Seite 769.
Auf der Rückseite befindet sich eine Werbung für das BGB, das 1900 erschienen ist.

Das Rathaus von Gablonz

Siegfried Karneth hat mir diese Postkarten als Geschichtenhaus übergeben. Sein Vater war ein Außenhandelskaufmann und betrieb
ein Kolonialwarengeschäft in Gablonz, dem heutigen Jablonec nad Nisou in Tschechien.

Die Vorfahren der Familie Karneth sollen als norditalienische Einwanderer (urspr. Carnetti) 
in der frühen Neuzeit als Kundige für Bodenschätze ins Riesengebirge gekommen sein.
Aus der jüngeren Geschichte ist bekannt, dass die Vorfahren von Siegfried Karneth die erste mechanische Weberei 
im Riesengebirge eröffneten, die Webmaschinen allerdings dann als Kriegsanleihe im 1. Weltkrieg anlegten. 
Später wurden Großvater und Vater im Handel tätig.
Die Familie Karneth – Mutter und drei Brüder, der Vater war im Krieg - wurde am 31. Juli 1945 aus dem damaligen Gablonz 
im Sudetenland vertrieben. Siegfrieds Erinnerungen sind, dass es tags zuvor, seinem 4. Geburtstag, Honigbrote zum Frühstück gab.
In der Nachkriegszeit ließ sich die Familie in Wittichenau zwischen Hoyerswerda und Bautzen nieder, 
nachdem sie sich durch die Vertreibung und Kriegsgefangenschaft des Vaters über den Suchdienst wieder gefunden hatten.
Nationalsozialismus und die Vertreibung der deutschen Bevölkerung in der Nachkriegszeit aus Gablonz, 
tschechisch Jablonec nad Nisou, ließ im Alltag der Menschen manche Kontakte zwischen ehemaligen Nachbarn 
oder Freunden doch weiter bestehen. Siegfrieds Vater zum Beispiel führte noch eine intensive Brieffreundschaft 
mit einem tschechischen Bekannten, einem Tiefbauingenieur. So erreichte ihn wohl auch eine Postkarte 
mit dem Rathaus aus dem nunmehr tschechischen Jablonec mit dem Rathaus, von der es schon eine frühere deutsche Ausgabe gab.
Der Vater untersuchte die Postkarten, fand Übereinstimmungen und Retuschen heraus und machte seine sorgfältigen Vermerke darauf,
wohl seine Art, Krieg und Entwurzelung zu verarbeiten.

Botschaft an die Erbauer der (Alten) Nationalgalerie auf der Museumsinsel

Adolf Damaschke (1865 - 1925) hat mit seinen autiobiografischen Überlieferungen*
viele Episoden zur Gegend rund um den Hackeschen Markt hinterlassen.

„Eines unserer liebsten Spiele war das Reifenspiel, und war Ziel löblichen Ehrgeizes, einmal seinen Reifen von unserem Hause bis zur 
nächsten Querstraße, der Sophienstraße, hin und zurück zu treiben, ohne dass er von einem der vielen Fußgänger umgestoßen wurde.

Am schönsten konnte man dieses Spiel in den Hallen der Nationalgalerie treiben. Unverständig erschienen uns nur die Erbauer, 
die offenbar den Standpunkt des Reifenspiels in seiner Bedeutung noch nicht genügend erfasst hatten, da sich rücksichtslos 
genug gewesen waren, die schönen Asphaltbahnen durch störende Stufen zu unterbrechen, die aus den Säulengängen zu den Fahrwegen hinabführten.“



Der Mauerfall: Diese Geschichte wurde mir von Herrn Wolfgang Gemeiner aus Hoyerswerda geschickt





Das Wunderbäumchen - 
Diese Geschichte wurde mir von Herrn Wolfgang Gemeiner aus Hoyerswerda geschickt